Wein & Philosophie

Leseprobe zu "WEIN-PHILOSOPHIE" von Bernd Müller-Kaller

Guter Wein und Meißener Porzellan - Zeit und Werte

Es ist April und wieder Tag der offenen Tür in der Staatlichen Porzellan-Manufaktur in Meißen. In Meißen gehören guter Wein und wertvolles Porzellan zusammen. Schon deshalb, weil es beides dort gibt. und auch deshalb, weil gut und schön nicht zu trennen sind. Vom Rang her ist das Meißener Porzellan berühmter als der Meißner Wein. Trotzdem, die Porzellanproduzenten der Meißner Manufaktur empfanden sehr früh diese Beziehung zum Wein, die sich in der Gestaltung des Weinlaubdekors und des figürlichen Porzellans widerspiegelt. Schon über 190 Jahre wird ein Meißner Service vom „Vollen grünen Weinkranz“ geziert. Die Geschichte des Dekors ist daher ein besonderes Thema am „Tag der offenen Tür“ in der Manufaktur.

Da ist es ganz natürlich, dass sich die Stadt und ihre Hotels und Gaststätten mit der Manufaktur verbünden. Den Besucherandrang an solchen Tagen nimmt die Szene zum Anlass, die Türen bis spät in die Nacht offen zu halten und allerorten die Gäste mit Musik und Wein zu erfreuen. Auch uns regt das zu einem Stadtbummel durch die musikalische und lokale Vielfalt an. Vom Radeberger Keller über La Habanna Bar landen wir schließlich beim traditionsreichen Vincenc Richter. Das musikalische Spektrum, das wir beim Herumbummeln erlebten reicht von Rock bis Swing über Blues bis Schlager. Wir sitzen bei Vincenc Richter auf der Außenterasse. Statt Kaffee trinken wir heute am Nachmittag ausnahmsweise Wein und essen dazu eine Kleinigkeit, Zwiebelkuchen. Man hat hier Muße zu schauen und einen schönen Ausblick auf das bunte Treiben auf dem Markt.

Abends dann haben wir einen Tisch bestellt im „Restaurant Meißen“ der Porzellan-Manufaktur: Drei-Gang-Menü mit Wein auf Meissener Porzellan - ein angenehmes Essen in stilvoller Umgebung. Dazu gibt es noch eine interessante unterhaltsame Moderation darüber, wie Wein und Porzellan zusammenfanden. Einiges war mir zwar bekannt, aber manche Details bereicherten doch mein Vorwissen.

Der Abend hier brachte es mit sich, darüber zu reden, was Porzellan und Wein mit dem Menschen verbindet: „Was meinst Du dazu?“ fragte ich Liane. „Natürlich der Genuss an beiden, die Freude am Schönen und Guten, auch die Kreativität“, antwortete sie. „Und wie entsteht so etwas?“ fragte sie zurück.

„Menschen, die mit Liebe, mit schöpferischer Kraft ein Produkt schaffen, geben nicht nur Wissen und Können in diese Dinge hinein, sondern auch einen Teil ihrer Seele“, antworte ich. „Und was geschieht mit der eigenen Seele?“ fragt sie weiter.

„Ein gelungenes Produkt, eine gelungene Arbeit strahlt auch wieder zurück auf die eigene Seele. Einen Weinberg bestellen heißt auch seine Seele bestellen. Denken wir zum Beispiel an die christlichen Grundwerte, Glaube, Liebe, Hoffnung“, versuche ich den Bogen weiter zu spannen:

„Der Glaube an Gott steht natürlich bei Christen an erster Stelle. Aber Glaube ist auch Sehnsucht nach dem Guten und Schönen. Glaube ist auch Vertrauen in das, was man tut.“

„Liebe ist auch eine Quelle, eine schöpferische Kraft. Mit Liebe wächst auch die Freude an der Arbeit und am Genuss. Nach Platon ist sie ein von Begierde freies Streben nach der Idee des Schönen: >Schön schloß sich der letzte Sommer, schöner der itzige!< Das Motto von jenem war - Wein, von diesem - Liebe!“

„Hoffnung ist für jedes Tun genau so wichtig. Paulus sagt: >Wir hoffen auf das, was wir nicht sehen.< Wir sehen es nicht, aber unsere Seele ist auf das Erwartete fixiert. Nur wer auf den Erfolg seiner Arbeit hofft, tut dies mit Interesse, mit Freude, mit kreativer Lust. Keiner kann zum Beispiel eine Firma, ein Weingut führen, ohne Hoffnung.

So kommen in ein Produkt Schönes und Gutes und damit auch Werte. Werte machen das Leben wertvoll“, resümiert Liane.

„Aber wir leben in einer Leistungsgesellschaft, wir sind gefordert, angetrieben, gehetzt“, sagt sie.

„Ja“, sage ich, „Leistung ist Arbeit geteilt durch Zeit. Gutes und Schönes entstehen auch durch Leistung. Besonders über die Zeit lohnt sich in diesem Zusammenhang nachzudenken:

Für guten Wein und Meißner Porzellan benötigt man eine andere Zeit als zum Beispiel für die Produktion von Kartoffeln oder Maschinen. Die Zeit für ihre Entstehung und für ihren Genuss

muss anders strukturiert sein, muss einen anderen Rhythmus haben und ein anderes Zeitmaß.

Das heißt Entschleunigung, Muße, Pausen.

Kant sagt: >Zeit besteht aus Zeiten, in ihr allein ist alle Wirklichkeit der Erscheinungen möglich.< Aber, sie existiert nur im subjektiven Denken des Menschen, ist lediglich eine subjektive Bedingung unserer menschlichen Anschauung.“

„Willst Du damit sagen“, wirft Liane ein, „dass wir in unserer schnellen, beschleunigten Zeit unserer Welt eine Entschleunigung, Ruhe-Zeiten brauchen? Sonst gewinnen wir keine Zeit, sondern verlieren Zeit.“

„Ja“, sage ich, „Menschen müssen das selbst entscheiden, in der Arbeit und beim Genuss. Natürlich könnten wir zum Beispiel die Summe unserer Genusserlebnisse auch steigern durch Beschleunigung in der uns zur Verfügung stehenden Zeit und zum Beispiel in rasendem Tempo von Event zu Event eilen. Oder wir könnten auch die Teilnahme an Veranstaltungen zeitlich verkürzen zum Beispiel beim Essen, mit Fast Food oder Speed Dating. Konsequent zu Ende gedacht könnte man dadurch die Genusserlebnisse verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen, bis aufs Unendliche ausdehnen und so vielleicht das ewige Genusserlebnis auf Erden erreichen.“

„Ich bin doch keine Agnostikerin, ich glaube an Gott“, sagt Liane. Ich muss lachen. „Ja, natürlich, und an ein Leben nach dem Tode. Aber hast du dadurch mehr Zeit?“ frage ich.

„Objektiv vielleicht nicht“, sagt sie, „aber subjektiv. Ich richte meine Zeit anders ein.“

Letztlich einigen wir uns darauf: Wirkliche, tiefgründige Erlebnisse brauchen eine eigene Zeit, die losgelöst ist von anderen Zeitabläufen und vom Zeitdruck. Genusserlebnisse müssen Zeiten der Muße sein, relativ unabhängig von anderen.